Nachhaltigkeit im Freiwilligendienst

1. Februar 2023

Wenn man an Nachhaltigkeit denkt, kommen einem sofort Umweltthemen wie nachwachsende Rohstoffe oder biologisch abbaubares Plastik in den Sinn, weniger jedoch ein Freiwilligendienst im Ausland. Was kann es bedeuten, wenn man in diesem Kontext von Nachhaltigkeit spricht? Gemeint ist eine Veränderung  die langfristig und anhaltend ist. Diese Veränderung geschieht in den Freiwilligen, aber auch in deren unmittelbarem Umfeld. Auf das Gesamtpaket prägender Erfahrungen, Lernen auf unterschiedlichen Ebenen sowie interkulturellen Begegnungen lässt sich das Label „nachhaltige Veränderung“ oder besser noch „nachhaltige Entwicklung“ schreiben. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um sichtbare oder messbare Prozesse.

 

Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen

Ein einjähriger Freiwilligendienst birgt in vielerlei Hinsicht Chancen und Herausforderungen, die auf mehreren Ebenen zeitgleich stattfinden. Fangen wir bei den jungen Menschen an, die sich für einen Freiwilligendienst entscheiden. Der bloße Gedanke an ein Jahr im Ausland, in einem noch nicht bekannten Kontext, außerhalb bisheriger Komfortzonen, ist der erste Schritt in Richtung nachhaltiger Veränderung. Gedanklich wird zum ersten Mal über den Tellerrand geschaut, wenn auch nur sehr spekulativ. Doch passiert in der Vorstellung, von dem was sein und geschehen kann, schon etwas sehr Entscheidendes, was für den weiteren Prozess im Rahmen des Freiwilligendienstes wichtig ist: Bewerber und Bewerberinnen entwickeln die Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen und sich diesem zu öffnen. Hier wird schon der Grundstein für spätere Prozesse und Lernerfahrungen gelegt.

Da wir bei Freiwilligendiensten auch von einem Lern-Dienst sprechen – und hier passt das Motto von Christliche Dienste wunderbar: „Gehet hin und lernet“ – soll an dieser Stelle gesagt sein, dass der Lernprozess die eigentliche nachhaltige Entwicklung in den Freiwilligen und in ihrem Umfeld ist. In der Regel wird die Entscheidung für einen Freiwilligendienst auch zu einem Zeitpunkt im Leben getroffen, in der junge Menschen ohnehin wichtige, grundlegende Entscheidungen für ihre Zukunft treffen, wie die Wahl der Ausbildung, des Studiums oder des Berufs. Es werden Entscheidungen hinsichtlich Familienplanung und Familienbild getroffen, also Entscheidungen denen ganz wesentliche, in der Persönlichkeit verankerte Werte zu Grunde liegen. In diesem so wichtigen Lebensabschnitt, wo im übertragenen Sinne ein guter Boden für nachhaltige Veränderungen da ist, nimmt dieser Boden die Eindrücke und Lernerfahrungen aus einem Freiwilligendienst auf und vermischt sie mit den Prägungen, die man von Zuhause kennt.

 

Tendenzen und Muster eines nachhaltigen Lernprozesses

Nachhaltige Lernprozesse finden auf unterschiedlichen Ebenen zum Teil zeitgleich, überlappend und individuell stattfindet. Somit ist es schwierig, eine generell geltende Formel für alle jungen Leute im Freiwilligendienst aufzustellen. Nichtsdestotrotz sind Tendenzen und Muster festzustellen, deren Wirkungsebenen wir uns anschauen wollen. Zunächst kommt das kognitive Lernen in den Blick.: Ob es das Erlernen oder auch nur Verbessern einer Fremdsprache ist, so ist dies doch eine, der sichtbarsten, nachhaltigen Veränderungen, die viele Freiwillige aus ihrem Dienst mitnehmen. Hinzu kommen praktische Dinge, die oft an der Einsatzstelle erlernt werden wie der Umgang mit bestimmten Werkzeugen oder Geräten, Fachvokabular oder der Umgang mit Menschen, mit denen sie primär an ihren Einsatzstellen arbeiten. Im Freiwilligendienst wird Wissen angesammelt und gleich angewendet. Für einige Freiwillige ist die Tätigkeit an ihrer Einsatzstelle so inspirierend, dass sie sich diese Tätigkeit für ihre Zukunft vorstellen können.

Neben dem kognitiven Lernen gibt es noch die des interkulturellen Lernens. Schon auf den Vorbereitungsseminaren, wenn sich Freiwillige aus unterschiedlichen Teilen des deutschsprachigen Raums treffen, stellen sie fest, dass es kulturelle Unterschiede gibt. Diese Unterschiede bzw. das Erkennen solcher, werden im Ausland um ein Vielfaches verstärkt. Hier folgt interkulturelles Lernen, bei dem die Phasen Begeisterung, Frustration, Hinterfragen und Akzeptanz in unterschiedlicher Intensität und zum Teil auch in Schleifen durchlaufen werden. Ganz normal ist es, die von Zuhause mitgebrachte Kultur zu hinterfragen und Elemente aus der primären und der neu erlernten Kultur zu vermischen und sie dann zum Teil auch als zweite Heimat anzunehmen. Durch den Umgang mit einer anderen Kultur, in der nicht nur die Sprache, sondern auch die Art der Kommunikation eine andere ist, werden Freiwillige für gewisse zwischenmenschliche Interaktionen sensibler. Dies betrifft besonders die Kommunikation von Kritik, die mal mehr oder weniger direkt geäußert wird.

Auf der anderen Seite werden neben den nach außen gerichteten Softskills auch die „inneren“ Fähigkeiten in einem Freiwilligendienst im Ausland nachhaltig verändert. Die Freiwilligen verlassen ihre bisher bekannte Komfortzone und müssen sich im neuen Kontext eigenständig orientieren. Hier stehen ihnen gewisse Ansprechpartner zur Seite. Trotzdem kommen sie in Situationen, in denen sie selbstständig agieren müssen. Ob es nun bedeutet, den Haushalt eigenständig zu führen, sich im anderssprachigen, öffentlichen Nah- und Fernverkehr zu orientieren.

Fragt man ehemalige Freiwillige, was sie in diesem Jahr am stärksten nachhaltig verändert hat, so wird die wahrscheinlich häufigste Antwort sein: Resilienz und Kompetenz mit Frustration, Niederschlägen oder schwierigen Situationen umzugehen. Sie erzählen vom Durchhaltevermögen an Tagen, an denen das Heimweh besonders groß war oder vom Umgang mit schwierigen Mitarbeitern und Mitbewohnern an Tagen, an denen sie in der Frust-Phase der kulturellen Anpassung hingen. Denn in diesen Momenten lernten sie „fürs Leben“. Oft sind es auch die alltäglichen Herausforderungen in schwierigen Phasen, welche die Freiwilligen einen großen Glaubensschritt machen lassen. Hier ist wichtig zu sagen, dass die Freiwilligen nicht bewusst in Situationen gebracht werden, in denen sie Frustration und Überforderung ausgesetzt sind. Vielmehr bietet der Freiwilligendienst einen geschützten, begleiteten Rahmen, um sich bewusst in Lernprozesse und Persönlichkeitsentwicklung hineinzubegeben. Nicht selten werden „im Glauben wachsen“, „selbstständiger werden“ oder „reifer werden“ als Motivation für einen Freiwilligendienst angegeben.

 

Themen des Globalen Lernens

Die beschriebenen Prozesse, die eine Persönlichkeit nachhaltig verändern, werden begleitet von der Auseinandersetzung mit Themen des globalen Lernens. Hier sind Rassismus und Kolonialismus und deren Folgen aufzuführen, globale Wirtschaftszusammenhänge, Ungerechtigkeiten in politischen und wirtschaftlichen Sinne oder ganz pauschal gesagt, das gesehene und wahrgenommene Leid im Einsatzland. Die vor Ort erlebten Herausforderungen und deren Bewältigung gehen selten spurlos an den Freiwilligen vorbei und prägen sie nachhaltig. Nicht wenige Freiwillige engagieren sich nach ihrem Freiwilligendienst in Initiativen, Vereinen oder Kirchengemeinden vor Ort.

Nachhaltigkeit ist die Frage, nach dem was bleibt. Neben all diesen wichtigen inneren und äußeren Veränderungen im interkulturellen Lernen und der Persönlichkeitsentwicklung im Einsatzland sind es oft Beziehungen und Freundschaften im Einsatzland, die Freiwillige prägen und verändern und sie zu einem  bewussten nachhaltigen Lebensstil und sozialem Engagement führen.

 

Mennonitisches Jahrbuch 2023, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG) K.d.ö.R.

Autor: Albert Kinas, *1992, Sozialmanager BA, ehem. Freiwilliger und Referent für Freiwilligendienste bei Christliche Dienste

Fotocredits: G. Schmidt (ehem.CD-Freiwilliger)

Community

Besuche uns in den Sozialen Medien und teile deine Erfahrung oder Meinung mit uns und unserer Community!

Auch interessant

Nachhaltig Reisen

Nachhaltig Reisen

Möchte man sein Leben ganzheitlich nachhaltiger gestalten, wird man früher oder später zwangsläufig über das Thema „Reisen“ stoßen. Auch wenn es diesbezüglich sicherlich am ökologischsten wäre, einfach zu Hause zu bleiben, ist mir durchaus klar, dass ihr diesen...

mehr lesen
Kein Schicksal – Armut ist gemacht

Kein Schicksal – Armut ist gemacht

„In einer begrenzten Welt ist Armutsbekämpfung ohne Reichtumsbeschränkung nicht zu erreichen.“   (Dr. Klaus Seitz, Brot für die Welt) Hungernde Menschen im globalen Süden; Ausbeutung, keine Bildung, keine medizinische Versorgung. 3,4 Milliarden Menschen, die unterhalb...

mehr lesen